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Millennium Music Poetry DAS BUCH DER GESÄNGE |
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Inhaltsverzeichnis essence Alpha et Omega | ||
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Das Gastmahl
(κοινωνία)
An den Gastmahlen, die ein kultivierter, großzügiger Mann zu geben
pflegte, nahm oft ein gewisser stiller Derwisch teil. Der Kreis war als
'Die Versammlung der Gebildeten' bekannt. Der Derwisch beteiligte sich
nie am Gespräch, sondern kam einfach, begrüßte alle lächelnd mit
Handschlag, setzte sich in eine Ecke und aß, was bereitgestellt wurde.
Niemand wusste etwas über ihn, obwohl es, als er das erste Mal
auftauchte, Gerüchte gab, er sei ein Heiliger. Manche Frauen fühlten
sich unwohl in seiner Gegenwart, er schien nichts zu unternehmen, um mit
ihrer geistigen Atmosphäre zu harmonieren, und trug nicht einmal mit
einem Ausspruch zu den erleuchteten Dialogen bei, die sie als einen
wichtigen Teil ihres Lebens schätzen gelernt hatten. Andere wiederum
merkten gar nicht mehr, dass er überhaupt da war, da er keine
Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Eines Tages sprach der Derwisch jedoch.
Er sagte: „Ich lade euch alle ein, morgen Abend meinen Zaubergarten zu
besuchen. Ihr sollt mit mir essen.“ Diese unerwartete Einladung führte
zu einer Meinungsänderung in der gesamten Runde. Die einen dachten, der
Derwisch, der immer sehr armselig gekleidet war, müsse verrückt sein und
könne ihnen bestimmt nichts bieten. Andere betrachteten sein früheres
Verhalten als eine Prüfung. Schließlich, sagten sie sich, belohne er sie
eben dafür, dass sie solch langweilige Gesellschaft geduldig ertragen
hätten. Noch andere sagten zueinander: „Nehmen wir uns in acht, er
könnte uns nämlich in den Bann seiner göttlichen Natur gegenüber der
menschlichen locken wollen.“ Neugier brachte sie alle, auch den
Gastgeber, dazu, die Einladung anzunehmen. Am folgenden Abend führte der
Derwisch sie von ihrem Versammlungshaus zu einem verborgenen
Retreat-Gelände, einem Palast von solcher spiritueller Größe und Pracht,
dass sie geblendet waren. Der Ort war voll von Schülern, die Übungen und
Aufgaben ausführten. Gäste kamen mit Scharen von würdig aussehenden
Weisen; der Derwisch sprach zu jedem: „Wie wunderbar wird mir göttlicher
Ruhm durch dich offenbart!“ – die Festtafel, die ihnen geboten wurde,
lag jenseits jeder Beschreibung. Die Besucher waren überwältigt, alle
baten ihn, sie von nun an als Schüler anzunehmen. Doch der Derwisch
entgegnete auf ihre Bitten nur: „Wartet bis zum Morgen.“ Der Morgen kam,
aber die Gäste erwachten nicht in den luxuriösen, seidenen Kissen, zu
denen sie, in prächtige Gewänder gekleidet, am Abend vorher geführt
worden waren, sondern sie fanden sich stocksteif ringsum auf dem Boden
liegend innerhalb der steinigen Einfassungen einer Ruine, in einer
wasserkargen öden Berggegend, wieder. Da näherte sich der Derwisch, wie
aus dem Nichts gekommen, der Gesellschaft: er winkte mit beiden Händen,
und alle fanden sich auf einmal in seinem Palast wieder. Da bereuten
sie, denn sie kamen sogleich zu der Überzeugung, dass die Ruine die
Prüfung gewesen und sein Zaubergarten die wahre Wirklichkeit war. Einige
flüsterten: „Wie gut, dass er unsere Vorwürfe nicht gehört hat. Wenn er
uns nur seine seltsame Kunst lehrt, würde sich das schon lohnen.“ Aber
der Derwisch winkte wieder – daraufhin saßen sie am Tisch jenes
Gastmahls, das sie in Wirklichkeit nie verlassen hatten; der Derwisch
hockte in seiner üblichen Ecke, aß wie immer seinen Gewürzreis und sagte
überhaupt nichts. Allerdings hörten sie jetzt, während sie ihn mit
Unbehagen beobachteten, seine Stimme; es war ihnen, als würde sie aus
ihrer eigenen Brust sprechen, denn seine Lippen bewegten sich nicht. Er
sagte: „Solange eure Gier es euch unmöglich macht, die Selbsttäuschung
von der Wirklichkeit zu unterscheiden, gibt es nichts Wirkliches, was
euch ein Derwisch zeigen könnte, nur Trug. Die, deren Speise die
Selbsttäuschung und Einbildung ist, können nur mit Täuschung und
Einbildung beköstigt werden.“ Alle, die bei dieser Gelegenheit anwesend
waren, kamen weiterhin zur Tafel des großzügigen Mannes. Der Derwisch
aber sprach nie wieder zu ihnen. Und nach einiger Zeit bemerkten die
Mitglieder der 'Versammlung der Gebildeten', dass seine Ecke immer leer
blieb [Platon, Timaios 17a-c, 36c: 'Es führt den einen in der
Richtung nach rechts, den anderen in der Richtung nach links'].
(nach Goethe, 'Dichtung und Wahrheit').
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MILLENNIUM
MUSIC POETRY
essence Alpha et Omega
Inhaltsverzeichnis der einzelnen Kapitel
Musikalische Einleitung
Ouvertüre
Entretemps
»significatio passiva«
Zhikr
Prolog
A.
Das
Buch der Gesänge
B.
Situation: Anamnesis und anā-Lyse
C.
I. Von den Inneren Bildern
II. Von der Herren-Vernunft
D.
Dieu sensible
au Cœur
E.
Herzeleid und Resilienz
F.
Gottes Wundertaten
G.
Fragen
H.
Appell
an die Frauen
I.
Global Warning
Kulturanalytischer Dialog
J.
Der Interreligiöse Dialog
K.
Ethik und Planetarisches Bewusstsein
L.
Wissen und Vision
M.
I. Der
Frauen geheiligte Wissenschaft ist die Schöpferin des Neuen Zeitalters
II. Verehrung der Weiblichen Seite Gottes
III. Seelenkultur und Planetarisches Bewusstsein
IV.
Von der Bedeutung des Erbarmens
V.
Heiliger Gral – Am Abend wird
Licht sein
VI.
Von der Vermählung
N.
Kulturelles Herz und Unbefleckte Empfängnis
O.
Beziehungs-Situation
auf Planet Erde
P.
Über
heilende Hormone und vergiftende Stoffe
Q.
Integral Ethics
Dialog
R. Women-Universel-Global-Ethics
S. Heilen
mit der Weisen Schlange
T.
Interreligious Sciences of Sacred Art-Therapy
U.
Neue Mythologie – the Religion after
the religions
V. Transcultural
Mentoring
W.
Transkulturalität und
Menschheit
X.
Gebete und
Gesänge
Y.
Universel – Intertextual Human Experience
Z.
last words
Interreligious Sciences of Sacred Art-Therapy (ISSAT)
Omega
Canticum Graduum
The Cosmic Mandala
Vom Flügelschlag der Schmetterlinge